Bachs musikalische Sprache
In Musica Poetica - Musical-Rhetorical Figures in German Baroque Music von Dietrich Bartel (University of Nebraska Press, 1997) plädiert Bartel überzeugend für eine einzigartige Verbindung zwischen Musik und Rhetorik - einem vorwiegend deutschen Barockphänomen - genannt Musica Poetica. wobei bestimmte musikalische Figuren (wie Motive) Geste, Stimmungen, oder Worte repräsentierten. Dieser wurde vor allem unter lutherischen Kantoren sogar wie ein lokaler deutscher „Dialekt“ und trug zur Ausdruckskraft der Musik bei – ein wichtiger Bestandteil von Luthers „Theologie“ der Musik. Dieselbe Idee wird von Judy Tarling in ihrem Buch The Weapons of Rhetoric( Corda Music, 2004) untersucht.
Albert Schweizer (1875 – 1965), in seinem Buch J.S. Bach sprach lieber von Bachs „musikalischer Sprache“ und stellte viele aufschlussreiche Zusammenhänge zwischen der musikalischen Bildsprache der Kantaten und Choräle und Bachs rein instrumentalem Werk her.
Dies ist ein riesiges Thema, und jeder, der ernsthaft daran interessiert ist, sollte die Bücher von Tarling oder Bartel (und es gibt viele andere) lesen oder in Schweizer eintauchen. Aber um Ihren Appetit anzuregen, hier nur einige interessante Beispiele von “Figuren”, auf die Tarling, Bartel und Schweizer mit Hinweisen auf die ersten beiden Violine Obligatsonaten von Bach Bezug nehmen.
BWV 637 Durch Adams Fall vom Orgelbüchlein. Ein wunderbares Beispiel für die Figur, um den „Fall“ darzustellen. Schweizer assoziiert weite abfallende Intervalle, die den natürlichen Fluss der Phrase unterbrechen, mit Trauer.
Oben: ein weiteres Beispiel für die fallende Figur aus der Kantate BWV 57, die der Eröffnung der Violinsonate BWV1014 (unten) ähnelt.
Hier sieht man auch die weinende Figur (Schweizer „Schmerz-Figur – rot) und das Kreuz (blau).
Ein Beispiel für die „auxesis“-Figur (im Englischen „Advancer“ genannt) im Andante von BWV1014. Der Höhepunkt wird durch stufenweise aufgebaute fallende motiven erreicht, die jeweils in Tessitura und Intensität ansteigen, bis das obere D erreicht ist:
Der Eröffnungssatz der zweiten Sonate in A-Dur BWV 1015 ist ein heiterer Satz, der von Schweizer als Darstellung der Euphorie Marias nach der Nachricht vom Engel beschrieben wird. Die häufige Verwendung von Trillern erinnert an den Orgelchoral BWV615 „In Dir ist Freude“:
Die Violine und die rechte Hand des Cembalos trillern unisono in der Violinsonate BWV1015, Dolce:
Der zweite Satz derselben Sonate BWV1015 wird vom rhythmischen „Freudenmotiv“ dominiert:
In der Kantate BWV10 „Meine Seele erhebt den Herrn“ sieht es so aus:
So interessant es auch sein mag, mir ist klar, dass das bloße Finden der Figuren in der Musik nicht ausreicht, um eine überzeugende Aufführung zu erzielen! Ich glaube jedoch, dass dieses Wissen bei Ideen, was (und was nicht!) zu tun ist, sehr hilfreich sein kann. Wie es Jos Van Imerseel so elegant ausdrückt:
“Der Komponist liefert eine gute Partitur (durch Harmonie, Kontrapunkt, Motiv-Konstruktion), aber die Verantwortung für deren Umsetzung liegt sicherlich beim Interpreten. Wenn dies nicht der Fall ist, wenn der Interpret nicht alles versteht oder gar merkt den verschiedenen Figurentypen, oder reicht die Umsetzung nicht aus, dann tragen diese Geräte eher zur Langeweile bei, als dass sie die Aufmerksamkeit des Hörers erregen Kodifizierung aller Möglichkeiten des menschlichen Ausdrucks in der Musik. Denn ohne das Menschliche kann wahre Musik niemals existieren.”